„Ein Reise- und Erlebnisbericht von Burkhard Proske.“
Schon lange hatte ich den Wunsch, einmal Weihnachten in der alten Familienheimat in Neustettin sowie Groß und Klein Küdde zu erleben. Dieses Jahr bot es sich besonders an, da genau 80 Jahre seit dem letzten Weihnachtsfest meiner Eltern in ihrer alten Heimat vergangen waren. Damals sollten nur noch wenige Wochen bis zur Flucht verbleiben.
Als überzeugter Öffi-Nutzer unternahm ich meine Weihnachtsreise mit dem Zug. „Ruhnow umsteigen“ ist bis heute so etwas wie ein geflügeltes Wort in der Familie. Und wie früher meine Vorfahren dort von Stettin oder sogar Berlin kommend in Richtung Neustettin umstiegen, tat auch ich es am 21.12.2024.
In Neustettin angekommen, fuhr ich mit einem modernen Ikarus-Elektrobus des seit einigen Jahren kostenlosen Stadtbusverkehrs zur modern eingerichteten, aber leider WLAN-losen Ferienwohnung im Stadtzentrum. Nach einem ersten Lebensmittel-Einkauf war es dann auch schon dunkel und somit die richtige Stimmung für einen Besuch des Weihnachtsmarktes. Dort gab es ein auffallend ambitioniertes Bühnenprogramm, u.a. mit wohltätigen Versteigerungen und Gesangsdarbietungen. Zu den beliebtesten Speisen gehörten Churros und Langosch, die bei uns recht übliche Bratwurst war hingegen nicht vertreten.
Weihnachtsmarkt Szczecinek
Mein Vater Johannes Proske wurde zwar in Niederschlesien geboren, wuchs aber seit seinem vierten Lebensjahr in der Neustettiner Luisenstraße auf. So führte mich am 22.12. mein erster Weg dorthin, bevor es dann am Nachmittag mit dem Zug nach Küdde ging.
Der Küdder Bahnhof erinnert mich immer an meinen Großvater Alfred Breutzmann, der als Postler dort die Post zum Zug brachte oder vom Zug holte. Nun galt es, das Doppeldorf und insbesondere die früheren Häuser meiner Familie anzuschauen. Mein erster Weg führte mich zum Haus meines Urgroßvaters Friedrich Raddatz in Klein Küdde. In ihm wurde auch meine Mutter Ruth Breutzmann (verheiratete Proske) geboren. Es war ein besonderer Moment, genau an ihrem siebten Todestag vor ihrem Geburtshaus zu stehen.
Weiter ging es über die Küddow-Brücke nach Groß Küdde. Das Haus meiner Urgroßeltern Ernst Breutzmann und Maria Born (Geburtsname) wird gerade renoviert. Aktuell zum Verkauf steht das Haus meiner Großeltern Alfred Breutzmann und Gertrud Raddatz (Geburtsname), in dem also auch meine Mutter aufwuchs. Nach der leider verschlossenen Kirche ging ich weiter zum Friedhof mit seinen wenigen alten deutschen Grabsteinen, deren Inschriften teils leider nur noch sehr schwer zu entziffern sind. Im Gegensatz zu Neustettin gab es in Küdde keine öffentliche Weihnachtsbeleuchtung.
Am 23.12. fuhr ich für eine Nacht in das großartige Danzig, um auch dort den Weihnachtsmarkt zu erleben. Allerdings verließ ich Neustettin nicht, ohne vorher noch in der Touristinformation vorbeizuschauen und einige Artikel aus dem umfangreichen Souvenir-Angebot zu erwerben. Für die Rückfahrt von Danzig nach Neustettin wählte ich eine Verbindung über Belgard aus, so dass der Zug auch in Eschenriege hielt, woher meine Urgroßmutter Maria Born stammte.
Am Heiligen Abend wieder in Neustettin, führte mich mein Weg zur früheren Nikolai- und heutigen Marienkirche. Diese war vollkommen dunkel. Naja, dann will ich mal versuchen, ob die Tür offen ist – und siehe da, sie war offen. Der Kirchenraum war komplett dunkel, nur vorne leuchteten einige Weihnachtsbäume und die Weihnachtskrippe. Im sehr gläubigen Polen an Heiligabend eine ganze Kirche für mich allein – wer hätte das gedacht? Auch dies ein wirklich besonderer Moment. In Gedanken stelle ich mir vor, wie genau vor 80 Jahren mein neunjähriger Vater mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einer der Kirchenbänke sitzt. Nachmittägliche Christvespern sind in Polen nicht üblich, es gibt einen Gottesdienst um 9 Uhr und dann wieder um 22 Uhr.
Am 25.12. verließ ich Neustettin am Morgen mit einem IC in Richtung Breslau, um von dort aus die nahegelegenen Familienorte Wohlau und Striegau zu besuchen. Aus Wohlau stammen die Proskes, in Striegau wurde mein Vater geboren. Auch dort suche ich die früheren Wohnhäuser der Familie auf. Nach Wohlau fuhr ich sogar ein zweites Mal, um die für eine Kleinstadt durchaus ambitionierte Weihnachtsbeleuchtung und -dekoration auch während der Dunkelheit zu fotografieren. Auch der Breslauer Weihnachtsmarkt war sehenswert, sogar am 1.Weihnachtstag, als er eine Weihnachtspause einlegte. Am 2.Weihnachtstag hatte er dann wieder geöffnet – und man hatte teils große Mühe, vorwärtszukommen. Mit vielen neuen Eindrücken fuhr ich am 27.12. wieder nach Hause.
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